Nokia Lumia 920 im Test: Kluger Kamera-Klotz
Als erstes Smartphone hat das Nokia Lumia 920 einen optischen Bildstabilisator an Bord, der Fotos auch in dunklen Situationen scharf machen und Videos frei von Wacklern halten soll. Ob das in der Praxis gelingt und was der Finne mit Windows Phone 8 sonst noch kann, klärt der Test von Sphone.de.

Soviel sei gleich verraten: Der Bildstabilisator im Nokia Lumia 920 ist eine Wucht! Er funktioniert tatsächlich und bringt in der Praxis sicherbare Verbesserungen. Fotos mit Belichtungszeiten von einer Fünfzehntel Sekunde gelingen noch richtig scharf und die Videos in Full HD sehen beinahe aus wie mit dem Stativ aufgenommen. Möglich wird dies, indem das komplette Linsensystem des Nokia-Smartphones in allen drei Achsen auf winzigen Motoren gelagert ist, die jeder Bewegung des Gerätes in Echtzeit entgegenwirken. Bisherige Handy-Bildstabilisatoren arbeiten digital, rechnen also die Bewegungen nachträglich per Software aus dem Bild, allerdings weitaus nicht so effizient. Die Qualität der Fotos ist sehr gut, die Schärfe aber auch nicht höher als bei anderen guten 8-Megapixlern. Farben, Belichtung und somit Kontraste stimmen, das Farbrauschen hält sich enorm zurück. Die Videos des Lumia 920 hingegen fielen im Test durch: Erstens schleichen sich trotz der eigentlich strammen Datenrate von 21 Megabit pro Sekunde mitunter verwaschene Flächen in detailreichen Regionen des Motivs ein. Zweitens pumpt der Autofokus mitunter unnötigerweise, wenngleich nicht so stark wie man das teilweise bei anderen Smartphone-Clips sieht. Und drittens ändert sich die Farbgebung manchmal sprungartig. Schuld daran ist eine unsauber arbeitende Weißabgleich-Automatik - und das ist immerhin die Standard-Einstellung! Erst wenn die entsprechende Option manuell etwa auf "Tageslicht" oder "wolkig" abgeändert wurde, zeigt sich dieses Phänomen nicht mehr. Vergisst der Nutzer aber, diese Einstellung bei einem Standortwechsel zu ändern, trägt die nächste Aufnahme einen fetten Farbstich. Dass dies nicht sein muss und eine Weißabgleich-Automatik wunderbar funktionieren kann, beweisen hunderte anderer Mobiltelefone seit Jahren. So etwas darf nicht passieren! Bleibt zu hoffen, dass Nokia den Lapsus wenigstens zügig per Software-Update behebt! Nicht zuletzt fällt auch der Klang des Musik-Players ist nicht so spitzenmäßig aus wie erhofft: Vor allem in den Höhen fehlt es ein wenig an Frequenzgang, diese sind nicht so klar und spritzig wie bei aktuellen Topmodellen à la iPhone 5 oder Samsung Galaxy S III. Aber trotzdem gut! Nur eben nicht top...
Lumia 920 im Test mit sehr gutem Touchscreen
Zweites Highlight des Lumia 920 stellt die Mattscheibe mit einer Diagonale von knapp 4,5 Zoll (113 Millimeter) dar, die damit die achtgrößte derzeit hierzulande ist. Mehr Fläche bieten lediglich noch Konkurrenten wie das Google Nexus 4 (4,7 Zoll) und natürlich das Samsung Galaxy Note 2 (5,55 Zoll). Bezüglich der Auflösung landet das Nokia Lumia 920 sogar auf Rang drei: Mit 768 x 1280 Pixel auf 58 x 97 Millimetern kommt der Finne auf eine Pixeldichte von satten 175 Bildpunkte pro Quadratmillimeter (336 ppi) – das können nur noch das Sony Xperia S und HTC 8X mit 182 respektive 181 Pixel pro Quadratmillimeter toppen. Schriften, Fotos und Texte werden also richtig schön scharf angezeigt. Und das dank IPS auch im Freien: Die vom iPhone her bekannte Technologie sorgt für eine besonders hohe Blickwinkelstabilität und für gute Lesbarkeit auch in hellen Umgebungen. Allerdings stellt die spiegelnde Displayabdeckung die größte Hürde etwa bei Sonneneinstrahlung dar, da schneidet das Lumia weder besser noch schlechter ab als üblich. Ein diesbezüglich optimales Display gibt es bislang leider noch nicht.
Fetter Finne: Gute Verarbeitung, aber nicht kompakt und leicht
Apropos Display: Dessen Gorillaglas-Abdeckung ist wie bereits beim Lumia 800 leicht gewölbt – sozusagen kissenförmig – und geht nahezu fließend in das Unibody-Gehäuse über. Zusammen mit den voll abgerundeten Seitenkanten, die in einem ebenfalls gewölbten Rücken auslaufen, erzielt das Lumia 920 eine grandiose Haptik. Hier darf mit Fug und Recht von einem Handschmeichler gesprochen werden! Allerdings von einem für große Finger, denn mit 71 x 130 x 11,8 Millimeter und 186 Gramm geht das Lumia 920 beim besten Willen weder als kompakt noch als leicht durch. Daher sei jedem Interessenten geraten, das Gerät vor dem Kauf einmal im Laden auszuprobieren und nach Möglichkeit auch einmal in die Tasche zu stecken - natürlich mit anschließender Rückgabe! Denn da trägt der Finne schon ziemlich dick auf, das dürfte nicht jedermanns Geschmack sein. Die Verarbeitungsqualität ist aber fraglos erstklassig, hier gibt es nichts zu meckern.
Test: Rasanter Prozessor im Nokia Lumia 920
Als Prozessor verrichtet ein Qualcomm Snapdragon S4 Plus seinen Dienst, genauer gesagt das Modell MSM8960 mitsamt der Grafik-Einheit Adreno 225, unterstützt von 1 Gigabyte Arbeitsspeicher. Genau jene Kombination also, die auch im HTC 8X steckt, dem derzeit einzigen anderen Windows Phone 8 derzeit, denn das Samsung Ativ S verspätet sich wohl bis Anfang Januar. Und so wundert es nicht, dass die Ergebnisse der wenigen Benchmarks, die derzeit für das mobile Windows zur Verfügung stehen, nahezu identische Ergebnisse anzeigen. Was überaus positiv ist, denn das HTC 8X gehört zu den schnellsten Smartphones derzeit am Markt! Das 8X erzielte im browserbasierten Sun Spider sogar den besten Wert, der jemals gemessen wurde, nämlich 893 Millisekunden. Mit 914 Millisekunden liegt das Lumia 920 im Test nur um Haaresbreite dahinter. Am nächsten kommt dem das iPhone 5, das für dieselben Berechnungen 933 Millisekunden benötigte – das Verfolgerfeld ist mit durchschnittlich knapp 3000 Millisekunden weit abgeschlagen. Dem entsprechend rutscht und flutscht die Darstellung auf dem Lumia 920, dass es eine Wonne ist. Selbst beim schnellen Scrollen etwa durchs Telefonbuch ruckelt nichts. Beim Öffnen mancher App lässt sich Windows Phone 8 mitunter reichlich viel Zeit, aber das liegt an der Plattform, nicht an Nokia - wie das identische Phänomen auf dem HTC 8X beweist. Nicht verifizieren ließen sich die Meldungen, die von unwillkürlichen Neustarts beider Smartphones berichten: Hier stehen Apps wie SkyDrive, Skype oder Facebook im Verdacht, sich gegenseitig zu behindern. Die beiden vorgelegten Testgeräte zeigten während des ausgedehnten Testzeitraumes nichts dergleichen, was aber keine Gewähr darstellt, dass nicht doch irgendeine Konstellation zu Abstürzen führt. Microsoft, Nokia und HTC gehen der Sache nach, Erkenntnisse lagen zum Zeitpunkt dieses Tests noch nicht vor.
Funk-Freund: Lumia 920 unterstützt zahlreiche Standards
Damit nicht genug der Technik-Parade: Das Nokia Lumia 920 unterstützt neben GPS, NFC, WLAN n inklusive des 5 Gigahertz-Bandes und Bluetooth 3.0 auch LTE - und das im Gegensatz zum iPhone 5 auf sämtlichen in Deutschland verwendeten Frequenzen. Interessenten sollten jedoch wohl überlegen, ob sie eine Datenoption für 4G buchen, denn das Lumia 920 beherrscht außerdem auch Dual-Cell HSDPA. Hierbei handelt es sich im allerweitesten Sinne um eine Art Kanalbündelung, welche die Kapazität der UMTS-Frequenzen besser nutzt und somit auf Download-Raten von nominal bis zu 42 Megabit pro Sekunde kommt; LTE erzielt je nach Netzbetreiber nominal 50 bis 100 Megabit pro Sekunde. In der Praxis liegen die Ergebnisse hier wie dort aber deutlich niedriger, wenngleich LTE aufgrund der geringen Nutzerzahlen derzeit noch keine Probleme mit überfüllten Netzen hat. Dafür kostet 4G aber auch einen Batzen mehr. Für Dual-Cell wird hingegen keine Zusatzgebühr fällig, doch leider bietet derzeit lediglich die Telekom diese Technologie flächendeckend an. Vodafone versorgt nach eigenen Angaben 42 Prozent der deutschen Haushalte, O2 hat einige neuralgische Punkte wie Flughäfen und Bahnhöfe mit DC-HSDPA ausgebaut. Für E-Plus ist die Technik noch kein Thema, allerdings auch nicht LTE. Interessenten sollten sich daher vorab genau informieren, ob der Netzbetreiber ihrer Wahl an den bevorzugten Einsatzstandorten DC-HSDPA oder LTE unterstützt, und erst danach die passende Datenoption buchen. Der interne Speicher fasst 32 Gigabyte, von denen im Werkszustand noch gut 29 Gigabyte frei verfügbar sind, und der nicht mittels Micro-SD-Karte erweitern lässt obwohl Windows Phone 8 derlei endlich zulassen würde.
Genial: Nokia Lumia 920 ohne Kabel laden
Und noch einen Kracher hat Nokia auf Lager: Das Lumia 920 lässt sich kabellos laden! Das klingt zunächst harmlos: Was soll so anders daran sein, das Handy auf eine Ladestation zu legen als es an ein Ladekabel zu stecken? Dahinter verbergen sich jedoch zwei Vorteile: Erstens kann der Akku des Telefons auf diese Weise auch zwischendurch nachtanken, während man sich für fünf Minuten hier und da nicht die Mühe macht, den Micro-USB-Stecker in die Buchse zu fummeln. Und zweitens ein Standard namens Qi: Dieser ermöglicht das Nachladen von Geräten aller Art, herstellerübergreifend. Eine Kaffeehauskette könnte somit etwa auf die Idee kommen, ihren Gästen solche Ladestationen an den Tischen zu offerieren, was ein Grund wäre, seinen Espresso dort zu schlürfen anstatt bei der Konkurrenz. An den ersten Flughafen-Lounges sollen sich bereits solche Qi-Ladegeräte befinden. Denkt man das Konzept zu Ende, ließe sich der Akku mehrmals täglich bei diversen Gelegenheiten laden, was das Mobiltelefon selbst über einen arbeitsreichen Tag bringt – das gelingt Smartphones mit halbwegs großem Touchscreen in aller Regel nicht ohne Nachtanken, das Lumia 920 bildet da keine Ausnahme.
Offline und kostenlos: Nützliche Navigation im Lumia 920
Was die Handhabung betrifft, so sei grundsätzlich auf den Testbericht zum HTC 8X verwiesen. Da Microsoft keine eigenen Oberflächen unter Windows Phone zulässt wie Android, ähneln sich die Telefone bei der Bedienung wie ein Ei dem anderen. Das macht es Herstellern zwar schwer, sich von der Konkurrenz zu unterscheiden, dem Nutzer aber den Umstieg denkbar einfach. Ein paar Differenzen im Detail gibt es denn aber doch zu vermelden: So sind die Tasten des virtuellen Keyboards beim Lumia 920 mit 7 x 7 Millimetern etwas weniger breit als die des HTC 8X mit 7,2 x 6,5 Millimetern, auf dem deren Abstand zueinander mit knapp 0,6 Millimetern zudem fast doppelt so groß ist. Das macht die Texteingabe auf dem HTC etwas sicherer, die Fehlerquote geringer. Im Gegenzug kann Nokia mit einigen exklusiven Kamera-Apps - die Finnen nennen diese "Lenses" - aufwarten. Sie bieten zum Beispiel hilfreiche Funktionen für Gruppenfotos oder erstellen animated GIFs. Abschließend trumpft Nokia dann mit seinen bewährten Kartendiensten auf. Auf dem HTC 8X findet sich lediglich die nun zu Windows Phone 8 gehörende Basisapplikation "Karten", die aber keine Navigation beinhaltet. Letztere behält sich Nokia exklusiv vor, in Form der App "Nokia Drive+ Beta". Und die hat es in sich: Eine vollständige, zuverlässige, hochprofessionelle Navigationslösung - weltweit kostenlos! Offline! Das ist vor allen Dingen im Ausland vorteilhaft, wo jedes Megabyte gleich mit etlichen Euro zu Buche schlagen kann. Bei Nokia lassen sich Karten vorab im WLAN herunterladen, Bayern beispielsweise schlägt mit 178 Megabyte zu Buche, ganz Deutschland mit 579 Megabyte. Die Fußgänger-Navigation findet sich nun im "City-Kompass" wieder, der auf Wunsch auch Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln einplant, momentan allerdings noch ohne Abfahrtszeiten. Und auch die integrierte Augmented Reality-Funktion, die über das Sucherbild der Kamera Informationen zu Restaurants, Sehenswürdigkeiten oder anderen "points of interest" legt und somit die Suche sehr anschaulich macht, befindet sich noch unübersehbar im Beta-Stadium. Ohnehin befindet sich das komplette Ökosystem aus "location based services" von Nokia derzeit im Umbruch: Sämtliche Funktionen werden unter der neuen Dachmarke "Here" zusammengefasst, die dank HTML 5 plattformübergreifend verfügbar ist, Apps für iOS und Android sind bereits ebenso verfügbar wie ein Browser-Interface.
Fazit: Top-Smartphone, aber noch verbesserungswürdig
Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt - das Nokia-Motto erstreckt sich auch auf das Lumia 920. Der optische Bildstabilisator zaubert ein breites Lächeln ins Gesicht des Nutzers, die Farbsprünge sowie die Komprimierungsartefakte der Videos treiben ihm indes Tränen in die Augen. Und auch der Klang des Musik-Players entspricht nicht dem Oberklasse-Preis von 649 Euro ohne Vertrag (unverbindliche Empfehlung des Herstellers). Die 8-Megapixel-Fotos immerhin verdienen Lob. Ansonsten ist das Lumia 920 State of the Art, ebenso wie die Verarbeitung. Das üppige Format sowie das Gewicht von 186 Gramm dürften hingegen nicht jedermanns Geschmack sein, da gefällt das kompakte, flache, leichte HTC 8X deutlich besser - das aber leider über nur 16 Gigabyte Speicher verfügt, der sich nicht per Karte erweitern lässt. Das gilt zwar auch für das Lumia 920, das aber immerhin 32 Gigabyte mitbringt. Nicht zuletzt punktet das Nokia mit induktivem Laden sowie einem erstklassigen Navigationssystem, das weltweit kostenlos und offline verfügbar ist.
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